10.04.2008

Etwas zum Nachdenken

Anonymität im Internet
Ich bin Meckie mit dem Messer.

Du hast es mir in die Hand gedrückt.
Und netterweise Dein Leben gleich mit.

Du bist mein, Du hast es so gewollt.
Ich stehe hier im Schatten und warte auf Dich.

Das Internet sollte Deine Bühne sein - Dein ganz großer Auftritt.
Du wolltest bemerkt werden, wolltest Anerkennung, Verständnis, Lob und Bewunderung für Dein Leben.
Jetzt hab ich genau hingesehen…

Vielleich bist Du wie Jonda…

… sie engagiert sich in Foren und ist fleißig dabei. Ein wenig unvorsichtig vielleicht. Sie schreibt viel über sich, ihre Freunde, die Verwandtschaft, ihre Probleme. Davon hat sie wenig, dafür ist sie umso stolzer auf ihr Leben.
Sie zeigt freudig Fotos, von sich, vom Nachwuchs, den Tieren, ihrem Haus, den Ferien, dem Wohnzimmer.
Ich habe sie alle gesehen.
Ich weiß, wie ihr Mann heißt, welchen Wagen sie fährt und was sie von Beruf ist. Ich kenne ihre Vorlieben und ihre Schwächen, ihr Nettoeinkommen und bekomme alle Höhen und Tiefen ihrer Ehe mit. Was sie im Fernsehen sieht und welche Bücher sie gelesen hat, welchen Duft sie benutzt, welche Musik sie hört, wieviele Zahnfüllungen sie hat und wann sie Abitur machte. Wie der Chef heißt und wo sie tätowiert ist.
Alles mit Foto versteht sich.
Die Geschichten haben ein Gesicht.
Ihr Wohnort steht mit dabei, es wäre mir ein leichtes, sie zu finden.

Vielleicht bist Du auch Berthe…

…Berthe ist auch in einem Forum, in mehreren sogar. Berthe hatte es nicht leicht im Leben und teilt das auch mit.
Stress mit dem Vater, Steit um das Sorgerecht, Misshandlung, Suizidversuch, Sexleben.
Über all das möchte Berthe reden - und ich höre zu.
Berthe schreibt jetzt einen Blog, um all das von der Seele zu werfen, was so schwer darauf liegt.
Ich lese ihn täglich, will mir nichts entgehen lassen.
Ich empfehle ihre Videos meinen Freunden und wir lachen gemeinsam darüber.

Oder Du bist wie Elvira…

…die hat jetzt ihre eigene Internetseite. Verlinkt zu all ihren Freunden und Foren, damit man sie findet.
Das ist sehr praktisch für mich.
Auf ihrer Seite sehe ich Bilder aus ihrem Leben.
Ihr Kind, ihre Hochzeit, ihre Couch, ihre Narben.
Und sie schreibt viel, über ihre schlimme Kindheit, die Krankheiten, die Süchte, die Nervenheilanstalt.
Im Impressum finde ich ihre genaue Adresse.
Einfacher kann man es mir nicht machen.
Von all diesen Frauen ist Elvira die dümmste.

Jonda, Berthe und Elvira haben mir ihr Leben auf dem Silbertablett serviert. Aber vermutlich wissen sie nicht einmal, dass ich existiere.

Aber wer bin ich?

Ich bin ihr Nachbar.

Ich bin ihr Boss.

Ich bin ihr Zeitungsjunge.

Ich bin ihr Frisör.

Ich bin ihre Putzfrau.

Ich bin die Lehrerin ihrer Kinder.

Ich bin ihr Postbote.

Ich bin ihr Tankwart.

Ich bin ihre Mutter.

Ich bin ihre Bekannte.

Ich bin ihr Ex-Freund.

Ich bin ein Passant, der auf der Straße an ihnen vorüberläuft.

Ich bin ein anonymer Leser im Internet,

wolltest Du wirklich, dass ich Dein Leben kenne???

Vielleicht bin ich ein berufsmäßiger Profiler, der die Informationen abgrast, die Du preisgibts und ein perfektes Schema erstellt.
Weiß, weiblich, 35-40, geschieden, 2 Kinder, Verkäuferin, Nikotinsucht, Linksliberal, trockenes Haar; Passbild und Wohnort anbei.
Ich katalogisiere Dein komplettes Leben, Deine Wünsche, Dein Konsumverhalten, durchforste mit Deinen Hinweisen das gesamte Netz nach weiteren Spuren von Dir.
Und ich werde fündig.
Bei Ebay, bei Amazon, bei You-tube, bei Studi-Vz, bei Gooogle.

Du hast mir einen Weg hinterlassen, so breit wie eine Autobahn und Dich zum gläsernen Menschen gemacht.

Ich verdiene mit Dir gutes Geld,
denn Informationen sind das Öl und das Gold des 21. Jahrhunderts.

Vielleicht habe ich auch nur ein, zwei Semester Psychologie studiert.
Das dürfte reichen um noch wesentlich mehr von Dir zu erfahren, als Du meintest, mir gegeben zu haben.
Poster von Delphinen an der Wand oder doch teure Teppiche?
Wie gehst Du auf Fragen ein, welche Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch Deine Konversation? Blümchenkleid- oder Jeanstyp?
Du sagst mir so vieles, und noch viel mehr, als Du ahnst.

Vielleicht brauchst Du einen neuen Job und bewirbst Dich bei mir?
Nur ein paar Minuten, Stunden womöglich, vor dem Computer und Du hast mich mehr wissen lassen, als Du mir jemals im “realen Leben” erzählt hättest.

Vielleicht möchte ich Dir schaden.
Das wäre so leicht.

Alles, was ich dafür brauche, sind ein paar Anmeldungen und schon kann es losgehen.

Du hast Deine Privatsphäre, Deine Sicherheit und Deine Freiheit verschenkt und es ist Dir nicht einmal bewusst.

Wenn man auf eine Bühne hinaustritt, darf man sich von den Scheinwerfern nicht blenden lassen.
Sonst droht man Gefahr, aus der Rolle zu fallen.

Wenn Du Dich in der virtuellen Welt mitteilen möchtest, dann tu das.
Erzähl vom angebrannten Milchreis, wie unmöglich Deine Nachbarin ist und dass Du schon mal auf Gran Canaria warst.

Aber vermeide Informationen, aufgrund derer man Dich identifizieren könnte.
Nicht alle Leser sind Deine Freunde.

Denkt mal drüber nach!!

Dieser Text darf kopiert werden!

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Es stimmt sehr nachdenklich, wenn man das liest. Man geht wirklich zu leichtsinnig mit dem Medium Internet um. Ich werde wohl mein Blog im Hinblick auf diesen Text neu überdenken.

Den Text habe ich kopiert und auch bei mir eingestellt.

Danke für diesen Denkanstoß.

Sigrun hat gesagt…

Henny, genau meine Rede, obwohl ich mich manchmal auch nicht dran halte!
Sehr guter Text, macht mich noch nachdenklicher.

Al

Unknown hat gesagt…

Vielen Dank für diesen Denkanstoß, man wird wirklich unüberlegt.
Nachdenkliche Grüße
Sonja-Maria